Sonntag, 14. Juni 2020

E Dio disse a Caino (Satan der Rache)


It./D, 1969. Regie: Antonio Margheriti

Während Italiens Großmeister des Genrekinos Mario Bava mittlerweile im In- und Ausland dank hervorragender BD-Editionen längst werkumfasssend gewürdigt wird, fristet das Werk seines Landsmannes Antonio Margheriti noch immer ein Schattendasein, von einigen wenigen kompetenten Veröffentlichungen - meist als DVD - mal abgesehen („Castle of Blood“ bei Synapse/USA, „Virgin of  Nuremberg“/“Schloß des Grauens“ bei Shriek Show/USA und Koch/D, „Seven Deaths in the Cat’s Eye“ bei Blue Underground/USA, „Naked... you die“/“Sieben Jungfrauen für den Teufel“ bei Dark Sky/USA und X-Rated/D). Das ist schade, denn Margheriti war zwar ein vielfilmender Tausendsassa, der in allen Genres aktiv war und auch einiges an Trash fabriziert hat, dennoch bietet seine Filmografie genug Hervorragendes, sodass sich ein genauerer Blick außerordentlich lohnt. Einen Großteil seiner Filme unterschrieb er mit seinem vermarktungsfreundlicheren nome-de-plume Anthony Dawson. Bekannt ist er wohl in erster Linie für seine Horrorfilme, seine Arbeiten im Science-Fiction dagegen sind heute fast vergessen, obwohl es hier einige Perlen des 60s-Pop-Art-Films zu entdecken gäbe („Criminali della Galassia“/“Raumschiff Alpha“/“The Wild Wild Planet“, 1965). Wie Mario Bava war Margheriti natürlich auch in dem kommerziell erträglichsten Feld der italienischen Filmproduktion der 60er tätig: dem Spaghetti-Western. Sein zweifellos bester Beitrag zum Genre ist der 1969 als italienisch-deutsche Koproduktion gedrehte „E Dio disse a Caino“/“Satan der Rache“ mit Klaus Kinski in der Hauptrolle. e-m-s, neben Koch und Anolis zeitweise Vorreiter in angemessenen Genreveröffentlichungen (bis zur Auflösung der Firma 2012), hat schon 2005 eine gelungene, wenn auch nicht perfekte DVD des Films auf den deutschen Markt gebracht, die trotz einiger Bildmängel noch immer zu empfehlen ist.

Während viele Italo-Western durchaus einzelne Elemente des Horrorfilms aufnehmen aber im Kern doch Western bleiben, ist Margheriti hier die perfekteste Synthese beider Genres gelungen. „Satan der Rache“ ist ein atmosphärisch dichter, spannender und origineller Gothic-Western, den man zu den besten Italo-Western zählen kann. 

Gary Hamilton (Klaus Kinski) wird nach 10 Jahren Arbeitslager entlassen, und er kennt nur einen Gedanken: Rache am örtlichen Strippenzieher Acombar, der ihm einst einen Mord anhängte, um sich anschließend nicht nur Hamiltons Besitzes, sondern auch dessen Geliebter zu bemächtigen. 
In der von Acombar kontrollierten Stadt spricht sich schnell rum, dass Hamilton wieder frei ist, Unruhe breitet sich aus. Düstere Vogelschwärme und ein aufziehender Tornado sind Vorboten des Untergangs, die Natur scheint im Verbund mit dem Rächer.  

Kinski spielt den Racheengel stoisch und mit sparsamer Mimik vor dem Hintergrund einer sich in Panik auflösenden Ordnung. Selten wurde die Bedrohung herannahenden Unheils so gekonnt inszeniert, Margheriti fährt dabei nach und nach das ganze Arsenal des Gothic-Horror auf: Eine sich gegen die gestörte Ordnung (Unrecht) wehrende Natur, ein mehr und mehr ins irrationale abdriftendes Verhalten der Schuldigen, Kirchenglocken, die den Untergang ankündigen, knarrende Türen, wehende Vorhänge. Ein Spiegelsaal (ein Schuft, wer dabei an Orson Welles denkt!) verbildlicht die Verunsicherung der Gejagten, und das düstere Familiengeheimnis verbirgt sich – natürlich – hinter dem Spiegel. Wie in einer shakespearschen Rachetragödie nimmt das Unheil seinen Lauf, keiner kann es aufhalten, keiner seinem Schicksal entkommen. Eine Frau am Klavier spielt ahnungsvoll schwermütige Melodien (siehe auch „Long Hair of Death“, „Die Stunde, wenn Dracula kommt“, „Der Dämon und die Jungfrau“), Kerzenleuchter illuminieren die Räume, und fast könnte man meinen, die dem Untergang geweihte Familie wohne in einer Burg anstelle des andalusischen Anwesens, das als Kulisse dient. Wo im herkömmlichen Western meist mit Gewehrkugeln gemordet wird, sterben die Handlanger Acombars in bester Gothic-Horror-Manier durch Aufhängen (am Glockenseil!), zerteilen (durch die Kirchenglocke!!), oder sie hängen aufgespießt am Haken. Alles andere als ein Standardwestern also, am ehesten lässt sich Margheritis Film noch mit Canevaris „Willkommen in der Hölle“/“Matalo!“ vergleichen, auch wenn er nicht dessen Durchgeknalltheit besitzt .

Die Westernstadt, durch die der Sturm fegt, wird in „Satan der Rache“ mehr und mehr zum Ersatz-Spukschloss. In einer Geschichte um Schuld, Sünde und Rache darf auch das sakrale nicht fehlen, und so gibt es Kirchenorgeln und einen stummen Pfarrer, der regungslos und fatalistisch den Opfertod stirbt. Während sich über der Erde Angst und Schrecken verbreiten, bewegt sich der unwirklich erscheinende Racheengel unterirdisch durch verlassene Katakomben, angefüllt mit indianischen Kultobjekten und Gräbern. Wer will, kann hier Psychologisches hineinlesen (Unterbewusstsein), oder aber sich einfach nur wohlig gruseln. Schließlich gerät die Dynamik der Schuld vollends außer Kontrolle, und die Familie Acombars löscht sich selbst aus. Das reinigende Feuer, das ihr Anwesen verschlingt, erinnert wohl nicht ganz zufällig an Roger Cormans „Untergang des Hauses Usher“. Am nächsten Tag, als der Tornado und mit ihm der Rächer verschwunden sind, ist nichts mehr wie es war. 

Das Motiv des zu Unrecht verurteilten, der zum Racheengel wird, liegt wohl mehr oder weniger den meisten Spaghetti-Western zugrunde, dennoch gelingt es Margheriti, durch stilistische Überhöhung und Verdichtung diesem altbekannten Handlungsmuster ein Maximum an Spannung und Atmosphäre abzugewinnen. Gleichzeitig würzt er den Film mit einer moralischen Ambivalenz – am Ende setzt er das Bibelzitat um Kain und das Blut, das er vergossen hat (der italienische Originaltitel des Films bedeutet „Und Gott sprach zu Kain“), gemeint ist damit der „gerechte“ Rächer Hamilton, den Gott verflucht und zu einem unsteten Leben auf der Flucht verdammt. 

Neben Kinski profitiert der Film von einer guten Besetzung – Peter Carsten, der auch Koproduzent war, spielt den gehetzten Acombar glaubhaft, Marcella Michelangeli als ex-Geliebte Hamiltons und Acombars Frau hätte auch jeden Horrorfilm der Dekade geziert, und Luciano Pigozzi hat einen seiner zahlreichen Auftritte als „Italiens Peter Lorre“, ihm gönnt Margheriti ein besonders denkwürdiges Ende. 

Eine HD-Veröffentlichung des Films steht noch aus, bislang ist nur die DVD von e-m-s verfügbar. Die Bildqualität der nun schon etwas älteren Editión schwankt zwar an einigen Stellen ganz erheblich, bleibt aber immer im annehmbaren Bereich. Neben der guten deutschen Synchro gibt es den italienischen Originalton in guter Qualität, Trailer, Filmografien zu Kinski und Margheriti und die übliche Bildergalerie. Verpackt ist das Ganze im stilecht gestalteten Schuber. Natürlich wären mehr Extras schön gewesen – etwa eine Doku über den Regisseur, doch dafür bieten sich ja noch genügend Gelegenheiten, denn eine Wiederentdeckung von Margheritis umfangreichem Werk ist dringend überfällig. 
(8/10)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Die Seltsame Gräfin

Deutschland, 1961. Regie: Josef von Báky Der „Sunset Boulevard“ unter den Wallace-Filmen Obwohl sich die Edgar-Wallace-Filmreihe 1961 ge...