Sonntag, 14. Juni 2020

Silbersattel (Sella d'argento)

Italien / Spanien 1978, Regie: Lucio Fulci

 Roy Blood (Giuliano Gemma) ist ein Pistolero wider Willen. Durch einen tragischen Umstand wurde er als Kind zum Rächer seines Vaters, seitdem reitet er auf dem silbernen Sattel des Mannes, der seinen Vater kaltblütig ermordet hatte, durch die melancholische Westernwelt Südspaniens.

Doch er entkommt seinem Schicksal nicht: zufällig trifft er auf den jüngsten Spross der Barrett-Familie, aus der auch der Mörder seines Vaters stammte. Der kleine Barrett jr. soll mit Hilfe des gefürchteten Banditen Garrincha entführt werden, damit will Thomas Barrett seine Schwester und Konkurrentin ums Familienerbe aus dem Weg räumen. So wird Roy Blood einmal mehr wider Willen zum Rächer, und für den kleinen Barrett jr. zum ganz und gar unfreiwilligen Ersatzvater.

 „Sella d'argento“ war Fulcis dritter und letzter Western (die beiden „Wolfsblut“-Filme nicht mitgezählt). War „Django - Sein Gesangbuch war der Colt“ von 1966 noch ein lupenreiner Spaghetti-Western, so zählte der düstere  „Verdammt zu leben - verdammt zu sterben!“ von 1975 schon zu den Vertretern der Spätphase des Genres.

„Silbersattel“ entstand 1978, als das Genre längst als mausetot galt. Dennoch ist „Sella d'argento“ kein Abgesang auf das Genre, noch ein typischer Vertreter der überwiegend düsteren Endphase des europäischen Westerns. Der vorherrschende Ton ist eher melancholisch und entspannt. Fulcis Augenmerk liegt hier einmal nicht auf Drama und Schockmomenten, stattdessen dreht sich der Film  in erster Linie um die Beziehung zwischen dem kleinen Jungen und Roy Blood. Diesem Umstand muss sich sogar die potentielle Herzensdame unterwerfen, die kaum mehr als Beiwerk ist. Nicht untypisch für einen Vertreter eines Genres, in dem es traditionell um Beziehungen unter Männern geht. Frauen sind hier normalerweise nur als Huren oder Mütter zu sehen, und in beiden Fällen müssen sie in der Regel sterben. Dieses Schicksal bleibt Margaret Barrett (Cinzia Monreale) erspart, aber dafür bezahlt sie mit der Marginalität ihrer Rolle. Eine Männerwelt bekommen wir also auch hier präsentiert, wenn auch mit einem Kind in einer tragenden Rolle.

 Giuliano Gemma weiß recht gut, mit dieser Perspektivenverlagerung umzugehen. Obwohl er ein recht zurückhaltend agierender Schauspieler ist, schafft er es durchweg, seine Rolle als unfreiwilliger Stiefvater lebendig und mit Blick für Feinheiten zu gestalten. „Silbersattel“ ist ganz und gar Gemmas Film. Neben Gianni Garko gehört er zu den vielseitigsten italienischen Schauspielern, die bis heute -immerhin sind beide um die 70 – gut im Geschäft sind. In Deutschland kennt man sie fast ausschließlich durch ihre Westernrollen, doch in Italien schätzt man beide als Allrounddarsteller.

Was man von Jungschauspieler Sven Valsecchi in der Rolle des Barrett jr. nicht gerade behaupten kann. Mehr als ein unschönes Grinsen mit Zahnlücke wirft er nicht in die Waagschale, und so überrascht es nicht, dass die Filmkarriere des Kleinen bereits ein Jahr später vorbei war.

Neben Gemma agieren der Amerikaner Geoffrey Lewis mit unglaublicher Knautschvisage in der Rolle des zwielichtigen Leichenfledderers Snake, sowie Cinzia Monreale als Margaret Barrett. Monreale agiert hier recht farblos, doch sie hatte in den Folgejahren noch einige denkwürdige Auftritte in Genrefilmen vor sich – als blinde Emily in Fulcis Zombie-Splatter-Phantasmagorie „E tu vivrai nel terrore – L'aldilà“ (Geisterstadt der Zombies, 1981), und in einer Doppelrolle in D'Amatos Nekrophilie-Saga „Buio Omega“ (Sado - Stoß das Tor zur Hölle auf, 1979).

Die wichtigste Rolle neben Gemma spielt in diesem Film aber Sergio Salvati, Fulcis Kameramann. „Silbersattel“ ist durchweg hervorragend fotografiert, und Salvati nutzt die Schauwerte des Drehorts bei Almeria optimal aus. Visuell ist „Silbersattel“ meistens eine dankbare Angelegenheit, auch wenn der Plot sich mitunter ein wenig zu entspannt entfaltet. Den inszenatorischen Schmiss, den Fulci in seinen besseren Filmen bewies, sucht man hier leider vergeblich. Auch wenn der Film nicht unbedingt langweilig ist, wirklich packend ist er jedenfalls auch nicht.

Das größte Problem von „Silbersattel“ ist allerdings akustischer Natur. Die Filmmusik von Bixio,   Frizzi und Tempera ist eine einzige Zumutung. Nicht nur, dass sie für den Film ein besonders hinterhältiges Gebräu aus Country-Folk-Hippie-Softrock verbrochen haben, das dem Film gelegentlich einen leicht komatösen Charakter verleiht, dieses Trio Infernal der Filmmusik hat dazu auch noch einen Titelsong komponiert, der das Rennen um den widerwärtigsten Filmsong ohne Anstrengung macht. Gesungen zudem von einem grässlichen Sänger, das versteht sich fast von selbst. Doch nicht genug der Audio-Folter: Fulci hielt es auch noch für angemessen, jene Titelsong-Zumutung im zehn-Minuten-Rhythmus immer wieder über den Film kommen zu lassen. So muss systematische Folter aussehen: kaum reitet Gemma irgendwo in die Landschaft, schon zuckt man als Betrachter zusammen, weil man fürchtet, dass das gleiche Lied schon wieder erklingt. Und das tut es jedesmal! Nachdem ich dieses Prinzip begriffen hatte, griff ich sofort zur Stummschaltung, sobald sich eine Lücke in der Handlung auftat oder Gemma sein Pferd in Richtung Wildnis steuerte.

Möglicherweise sind Fans von Crosby, Stills & Nash und Joan Baez immun gegen diese Art von Folter.

„Silbersattel“ gehört kaum zu den wichtigen oder denkwürdigen Vertretern des Italo-Western, und auch für Fulci-Fans wird er kaum mehr als eine Randnotiz sein im Oeuvre dieses reichlich widersprüchlichen Regisseurs. Der rundum softe, in herbstliche Farben getauchte und leicht schläfrige Stil des Films lässt sich noch am ehesten mit dem ein Jahr zuvor entstandenen „Sette note in nero“ vergleichen, der sich zum Giallo-Genre ähnlich verhält wie „Silbersattel“ zum Spaghetti-Western. Man würde kaum vermuten, dass Fulci nur ein Jahr nach diesem Film ein Quartett von Horrorepen von der Leine lassen würde, das seinerzeit Zensoren und Moralwächter an den Rand des kollektiven Herzinfarktes brachte.

Europas führende Spezialisten in Sachen Italo-Western, Koch Media, gönnten Fulcis Spätwestern eine tadellose DVD-Veröffentlichung im Rahmen der regenbogenfarbenen Italo-Western-Reihe. Die Bildqualität ist hervorragend, und lobenswerter Weise sind neben der deutschen Synchro sowohl die italienische als auch die englische Sprachfassung auf der DVD enthalten. Deutsche Untertitel sind optional. Unter den Extras findet man den alten deutschen Vorspann, den englischen Trailer und zwei Interviews. Fabio Frizzi, einer der Komponisten der Filmmusik, erzählt von seinen Erfahrungen mit Fulci, während der Cutter Bruno Micheli Einblicke in seine Arbeit am Film gibt. Dazu eine Bildergalerie mit Filmplakaten und Standfotos, sowie einen soliden Klappentext auf dem Digipack.

Alles in allem eine tadellose Edition eines zwiespältigen und nicht wirklich wichtigen Films. Allerdings - wenn „Silbersattel“ nicht schon der schlimmen Musik wegen einen Platz in der Filmgeschichte verdient hat, so ist ihm wenigstens der Ruhm sicher, die albernste Schlussszene des gesamten Westerngenres zu liefern. Die ist so dämlich, dass man sie dann doch irgendwie gesehen haben muss. 



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