Sonntag, 28. Juni 2020

Die Seltsame Gräfin


Deutschland, 1961. Regie: Josef von Báky

Der „Sunset Boulevard“ unter den Wallace-Filmen

Obwohl sich die Edgar-Wallace-Filmreihe 1961 gerade mal im dritten Jahr befand, erschien mit „Die Seltsame Gräfin“ bereits der neunte Film der Serie in den Kinos. Mit über 2,5 Millionen Besuchern zählt der von Josef von Báky (mit Unterstützung von Jürgen Roland) inszenierte Film zu den kommerziellen Höhepunkten der Serie, und rückblickend sind die Gründe dafür offensichtlich.

Der Plot des Films liefert das für die Reihe übliche Motiv einer unbedarften, jüngeren Generation der Wirtschaftswunder-Ära, die von der finsteren Vergangenheit der Älteren zunehmend überschattet wird. Was könnte für einen deutschen Film der Nachkriegsära treffender sein?

Der aberwitzige Genre-Mix aus Krimi, Groschenroman und Gothic Horror wirft mit den unterschiedlichsten Zutaten so beseelt um sich, dass es eine Freude ist. Alleine die Besetzungsliste muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Stummfilm-Veteranen Lil Dagover und Fritz Rasp neben Nazi-Schauspielgröße Rudolf Fernau, Theater-Legenden wie Marianne Hoppe neben der zukünftigen Verkäuferin von TV-Currywürsten Brigitte Grothum und Berlins patentierter Quäkstimme Edith Hancke. Dazu die obligatorischen Wallace-Teilnehmer Joachim Fuchsberger als personifiziertes Biedermeier und Eddy Arendt als comic relief, der sich diesmal wohltuend zurückhält. Ebenso mit von der Partie ist Klaus Kinski in seiner vielleicht besten Rolle in einem Wallace. Fehlt eigentlich nur Elisabeth Flickenschildt, die leider nicht mit von der Partie ist.

Bei einer solchen Besetzung kann eigentlich nichts mehr schiefgehen, und tatsächlich ist „Die Seltsame Gräfin“ auch aus heutiger Sicht einer der besten Edgar-Wallace-Filme. Am prägnantesten sind wohl seine Anleihen bei Billy Wilders „Sunset Boulevard“, denn wenn Lil Dagover als wirklich seltsame Gräfin mit Kandelaber und wehendem Gewand durch ihr Schloss wandelt, klingt nicht nur eine gehörige Portion gothic horror an, sondern wir sehen die Rialto-Antwort auf Gloria Swanson (die ebenso wie Lil Dagover ein Star der Stummfilmära war). Die Parallelen zu Billy Wilders Film sind zu deutlich, um zufällig zu sein.

„I’m ready for my closeup, Mr. DeMille!“

Die überkandidelte Art, mit der Dagover ihre Gräfin leicht überzeichnet, passt perfekt zum Film, in dem nahezu alle Charaktere am Rande des Wahnsinns wandeln. Auch der eigentlich naturalistisch angelegte Part von Marianne Hoppe gerät durch ihr theatralisches Spiel reichlich aus den Fugen, aber es schadet dem Film nicht, im Gegenteil. Dazu kommt Klaus Kinski als Wahnsinniger, der ständig aus dem Sanatorium ausbricht, um Brigitte Grothums Naivchen zu terrorisieren. Sein Telefonterror erinnert auch ein wenig an Doris Days Martyrium in „Mitternachtsspitzen“ (1960). Kinski schlafwandelt hier mal nicht wie sonst so oft durch den Film, sondern er spielt seine Paraderolle mit sichtlichem Genuss.

Rudolf Fernau gibt dazu den fiesen Nazi-Arzt, eine durchaus passende Rolle für einen Schauspieler, der auf Goebbels‘ Liste der „Gottbegnadeten“ stand und nach dem Krieg einige Probleme dank seiner Nazi-Vergangenheit hatte. Fritz Rasp darf dafür in seiner vierten Wallace-Rolle ausnahmsweise mal einen Sympathieträger spielen, nachdem er dreimal eher finstere Gestalten verkörperte.

Die für die schwarz-weiß-Filme der Reihe übliche expressionistische Lichtsetzung leistet ihr Übriges, um den Film zum schaurig-schönen Spektakel zu machen. Hinter der Kamera stand der Fritz-Lang-erprobte Richard Angst, der in den Folgejahren vor allem bei diversen Bryan-Edgar-Wallace-Verfilmungen für die ausgezeichnete Kameraarbeit verantwortlich war.

Einzig die Musik von Peter Thomas (sein erster Beitrag zur Reihe) tut das, was sie fortan in der Wallace-Reihe immer tut: Sie konterkariert den potentiellen Schrecken des Dargestellten durch ironische Brechung. Aber damit ist sie ein prägender Bestandteil der Reihe, die gerade durch das hemmungslose Nebeneinander des Albernen und des Erhabenen so markant wurde.

Die Blu-Ray-Veröffentlichung von „Die Seltsame Gräfin“ erschien in der Edgar Wallace Edition 6. Die Bildqualität ist etwas zu grobkörnig, an einigen Stellen kommt es zum Flackern und zur Streifenbildung. Neben dem deutschen Ton (wahlweise mit zuschaltbaren UT in Deutsch oder Englisch) gibt’s die englische Synchronisation. Einziges Extra ist der Trailer. Das ist ausgesprochen dürftig, gemessen an den Möglichkeiten, die das Format bietet.

(8/10)


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