Deutschland, 1961. Regie: Josef von Báky
Der „Sunset Boulevard“ unter den Wallace-Filmen
Obwohl sich die Edgar-Wallace-Filmreihe 1961 gerade mal im
dritten Jahr befand, erschien mit „Die Seltsame Gräfin“ bereits der neunte Film
der Serie in den Kinos. Mit über 2,5 Millionen Besuchern zählt der von Josef
von Báky (mit Unterstützung von Jürgen Roland) inszenierte Film zu den kommerziellen
Höhepunkten der Serie, und rückblickend sind die Gründe dafür offensichtlich.
Der Plot des Films liefert das für die Reihe übliche Motiv einer
unbedarften, jüngeren Generation der Wirtschaftswunder-Ära, die von der finsteren
Vergangenheit der Älteren zunehmend überschattet wird. Was könnte für einen
deutschen Film der Nachkriegsära treffender sein?
Der aberwitzige Genre-Mix aus Krimi, Groschenroman und
Gothic Horror wirft mit den unterschiedlichsten Zutaten so beseelt um sich,
dass es eine Freude ist. Alleine die Besetzungsliste muss man sich auf der
Zunge zergehen lassen: Stummfilm-Veteranen Lil Dagover und Fritz Rasp neben Nazi-Schauspielgröße
Rudolf Fernau, Theater-Legenden wie Marianne Hoppe neben der zukünftigen Verkäuferin
von TV-Currywürsten Brigitte Grothum und Berlins patentierter Quäkstimme Edith Hancke.
Dazu die obligatorischen Wallace-Teilnehmer Joachim Fuchsberger als
personifiziertes Biedermeier und Eddy Arendt als comic relief, der sich
diesmal wohltuend zurückhält. Ebenso mit von der Partie ist Klaus Kinski in
seiner vielleicht besten Rolle in einem Wallace. Fehlt eigentlich nur Elisabeth
Flickenschildt, die leider nicht mit von der Partie ist.
Bei einer solchen Besetzung kann eigentlich nichts mehr
schiefgehen, und tatsächlich ist „Die Seltsame Gräfin“ auch aus heutiger Sicht
einer der besten Edgar-Wallace-Filme. Am prägnantesten sind wohl seine Anleihen
bei Billy Wilders „Sunset Boulevard“, denn wenn Lil Dagover als wirklich seltsame
Gräfin mit Kandelaber und wehendem Gewand durch ihr Schloss wandelt, klingt
nicht nur eine gehörige Portion gothic horror an, sondern wir sehen die Rialto-Antwort
auf Gloria Swanson (die ebenso wie Lil Dagover ein Star der Stummfilmära war). Die
Parallelen zu Billy Wilders Film sind zu deutlich, um zufällig zu sein.
„I’m ready for my closeup, Mr. DeMille!“
Die überkandidelte Art, mit der Dagover ihre Gräfin leicht
überzeichnet, passt perfekt zum Film, in dem nahezu alle Charaktere am Rande
des Wahnsinns wandeln. Auch der eigentlich naturalistisch angelegte Part von Marianne
Hoppe gerät durch ihr theatralisches Spiel reichlich aus den Fugen, aber es
schadet dem Film nicht, im Gegenteil. Dazu kommt Klaus Kinski als Wahnsinniger,
der ständig aus dem Sanatorium ausbricht, um Brigitte Grothums Naivchen zu
terrorisieren. Sein Telefonterror erinnert auch ein wenig an Doris Days Martyrium
in „Mitternachtsspitzen“ (1960). Kinski schlafwandelt hier mal nicht wie sonst so
oft durch den Film, sondern er spielt seine Paraderolle mit sichtlichem Genuss.
Rudolf Fernau gibt dazu den fiesen Nazi-Arzt, eine durchaus
passende Rolle für einen Schauspieler, der auf Goebbels‘ Liste der „Gottbegnadeten“
stand und nach dem Krieg einige Probleme dank seiner Nazi-Vergangenheit hatte. Fritz
Rasp darf dafür in seiner vierten Wallace-Rolle ausnahmsweise mal einen
Sympathieträger spielen, nachdem er dreimal eher finstere Gestalten verkörperte.
Die für die schwarz-weiß-Filme der Reihe übliche expressionistische
Lichtsetzung leistet ihr Übriges, um den Film zum schaurig-schönen Spektakel zu
machen. Hinter der Kamera stand der Fritz-Lang-erprobte Richard Angst, der in
den Folgejahren vor allem bei diversen Bryan-Edgar-Wallace-Verfilmungen für die
ausgezeichnete Kameraarbeit verantwortlich war.
Einzig die Musik von Peter Thomas (sein erster Beitrag zur
Reihe) tut das, was sie fortan in der Wallace-Reihe immer tut: Sie
konterkariert den potentiellen Schrecken des Dargestellten durch ironische Brechung.
Aber damit ist sie ein prägender Bestandteil der Reihe, die gerade durch das
hemmungslose Nebeneinander des Albernen und des Erhabenen so markant wurde.
Die Blu-Ray-Veröffentlichung von „Die Seltsame Gräfin“ erschien in der Edgar Wallace Edition 6. Die Bildqualität ist etwas zu grobkörnig, an einigen Stellen kommt es zum Flackern und zur Streifenbildung. Neben dem deutschen Ton (wahlweise mit zuschaltbaren UT in Deutsch oder Englisch) gibt’s die englische Synchronisation. Einziges Extra ist der Trailer. Das ist ausgesprochen dürftig, gemessen an den Möglichkeiten, die das Format bietet.
(8/10)
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