Samstag, 20. Juni 2020

Deadlock

D 1970. Regie: Roland Klick

 

Eine Wüste irgendwo. Ein paar Häuser, dreckig, kaputt und verlassen. Eine Landschaft, so ausgetrocknet, lebensfeindlich und öde, dass man allein vom Zusehen Durst bekommt. Das wenige Leben, das hier noch existiert, ist durch Zufall oder aus Pech zurück geblieben. Hier lebt, oder besser vegetiert Charles (Mario Adorf), genannt „Die Ratte“. Irgendeine Arbeit bindet ihn an diesen Ort, sonst wäre er längst abgehauen, wie alle anderen. Irgendwo in den Ruinen eines Kinos oder Revuetheaters haust außerdem Corinna (Betty Segal), eine Alptraumerscheinung von einer Frau. Wenn sich ein Mann an diesen Ort verirrt, verfolgt sie ihn mit drohend ausgepackten Brüsten. Von ihrer Vergangenheit als Barsängerin ist nichts geblieben als das billige Make-Up, das sie trägt wie eine Kriegsbemalung. Irgendwo lebt auch Jessy, ihre Tochter – debil und weitgehend stumm.

Eines Tages taucht ein verletzter Gauner auf, Kid (Marquard Bohm), schwer verletzt. Bei einem Rauüberfall wurde er angeschossen, so schleppt er sich und einen Koffer voller Geld mit letzter Kraft durch die Wüste. Charles entdeckt ihn, ergreift einen Felsbrocken und hält ihn in Moses-Pose hoch, um Kid zu erschlagen, doch Charles ist ein Feigling und ein Weichling dazu. Er bringt es nicht fertig. So nimmt er Kid bei sich auf, und pflegt ihn gesund. In einem ständigen Katz-und-Maus-Spiel schielen die beiden ständig nach Gelegenheiten, den anderen auszuschalten, um sich das Geld zu sichern. Bis Sunshine (Anthony Dawson) auftaucht, Kids Kompagnon und Partner beim Raubüberfall. Nun sind es drei Männer, die den Geldkoffer an sich reißen wollen. Doch anders als Charles und Kid ist Sunshine weder weich noch gutmütig. Nur einer wird am Schluss übrigbleiben.

„Deadlock“ ist eine seltsame Pflanze – ein deutscher Western, der tatsächlich funktioniert. Roland Klick gehörte kurzzeitig zu den Hoffnungsträgern des neuen deutschen Films, und „Deadlock“ erwies sich 1970 als Überraschungserfolg. Dass Klick dennoch keine große Karriere vergönnt war, sagt einiges über deutsche Befindlichkeiten dieser Zeit. Einen Western zu drehen, und sich dabei den Verpflichtungen des Autorenkinos à la Fassbinder, Wenders, Schlöndorff zu verweigern, wurde offenbar nicht goutiert. Anstatt sich der weitgehenden Kommerzverweigerung seiner Kollegen der 68er Generation anzuschließen, wählte Klick einen Mittelweg: er wollte Filme machen, die die Publikumsrezeption bewusst berücksichtigen, anstatt sich in rein selbstreflektiver Eitelkeit zu verschanzen um politisch hehre „wahre“ Kunst zu schaffen.

Das merkt man „Deadlock“ insofern an, als hier die politische Botschaft fehlt, glücklicherweise. Die Wüste in „Deadlock“ ist weder die psychologisierte innere Wüste der Protagonisten, noch die Wüste der zerrütteten deutschen Nachkriegsgesellschaft. Sie ist einfach nur eine Wüste.

„Deadlock“ ist dennoch kein nur zufällig von einem deutschen Regisseur in der israelischen Wüste gedrehter Italo-Western, auch wenn der Bezug zum filone natürlich nahe liegt. Zur Entstehungszeit von Roland Klicks Film hatte der italienische Western seinen Zenit gerade überschritten, war aber noch immer das dominante europäische Filmgenre. Zwar gibt es zahlreiche Parallelen – so hat Klick offensichtlich viel von Sergio Leones Kino gelernt. Das langsame Tempo, mit dem „Deadlock“ seinen Plot beinahe zufällig laufen lässt, das Schwelgen in Bildern, der Wechsel von Landschaftstotalen und extremen Nahaufnahmen von Gesichts-Landschaften; all diese Elemente weisen deutlich auf Leones Einfluss hin. Auch die Drastik der Darstellung, die gelegentlich ins Groteske umschlägt, hat ihre Vorbilder im italienischen Western. Aber anders als die italienischen Regisseure zählt Klick weder den Comic-Strip noch die Oper zu seinen stilistischen Einflüssen. Insofern ist er vielleicht doch ein Autorenfilmer. „Deadlock“ erinnert eben nicht nur an Leone, er hat gleichermaßen viel mit Jodorowsky gemein, dessen „El Topo“ im gleichen Jahr eine ähnliche Genre-Hybride schuf. Klicks Film verlangt ebenso wie sein chilenischer Seelenverwandter dem Zuschauer einiges ab, und ist dennoch ein höchst lohnenswertes Seherlebnis.

Das Label Filmgalerie 451 hat sich vor rund zehn Jahren des Werks von Roland Klick angenommen und seinem bekanntesten Film eine rundum gelungene DVD-Edition gegönnt. Neben vorbildlicher Bildqualität bietet die Auflage in der roten Reihe des Labels die deutsche und die englische Sprachfassung, eine Audiokommentar des Regisseurs, zwei Dokus zur Entstehung des Films und über Roland Klick, sowie ein Interview. Daneben gibt es den vollständigen Soundtrack, der von der Krautrock-Institution Can stammt. Eine Blu-Ray-Veröffentlichung von „Deadlock“ steht bislang noch aus. 2019 erschien Klicks Debütfilm „Bübchen“ auf Blu-Ray, bleibt also zu hoffen, dass hier noch weitere BD-Veröffentlichungen des zu Unrecht vergessenen Regisseurs folgen werden.

(7/10)

 

 

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