Samstag, 20. Juni 2020

Das Siebente Siegel

(Det Sjunde inseglet)


Schweden, 1957. Regie: Ingmar Bergman

Schweden, 12. Jahrhundert. Ritter Antonius Block (Max von Sydow) und sein Knappe Jöns (Gunnar Björnstrand) sind auf der Heimkehr von einem Kreuzzug durchs heilige Land. Sie finden ihre Heimat entfremdet und von der Pest verwüstet. Es scheint, als sei das Ende der Welt gekommen: Bauern erzählen von apokalyptischen Zeichen, von Missgeburten und Vorahnungen. Das Zuhause, das die beiden auffinden, scheint kaum weniger schrecklich als das, was sie während der langen Jahre des Kreuzzuges mit ansehen mussten. Die Welt ist aus den Fugen, die natürliche und göttliche Ordnung außer Kraft gesetzt, die Angst regiert.

Doch Antonius Block scheint all das kaum wahrzunehmen, denn er ist getrieben von einem inneren Konflikt: er hat seinen Glauben verloren. Nun brennt in ihm das Verlangen, Gott möge sich zu erkennen geben, ihm ein Zeichen senden, damit er seinen Glauben wieder findet, damit er Gewissheit erlangt, wo ihn die Zweifel quälen. Sein Knappe Jöns dagegen ist ein nüchterner Atheist, dem Diesseits mehr zugewandt als sein Herr. Als sie ihre Reise durch die karge Küstenlandschaft antreten, begegnet Antonius der Tod. Er sei gekommen, ihn zu holen, sagt er. Doch Antonius ist noch nicht bereit, zu sehr bestimmt ihn das Verlangen nach Erkenntnis. Er erbittet eine letzte Frist. Sie einigen sich auf ein Schachspiel, für dessen Dauer ihm ein Aufschub gewährt wird.

So reiten der Ritter und sein Knappe weiter, vorbei an bizarren Prozessionen von sich kasteienden Gläubigen und Hexenverbrennungen. Doch unterwegs begegnet ihnen auch ein junges Gauklerpaar, voller Optimismus und Hoffnung auf ein friedliches Leben. In diesen erkennt Antonius eine Art heilige Familie, und ihn überkommt die Angst, der Tod könne sie ebenso mit sich nehmen, wie alle anderen. Es gelingt ihm, den Tod durch ein geschicktes Manöver beim Spiel kurz abzulenken, sodass die Gaukler unbemerkt abreisen können. Antonius erreicht schließlich seine Burg, wo seine Frau bereits auf ihn wartet, während alle anderen vor der Pest geflohen sind. Sie alle werden am Ende vom Tod ereilt, während die junge Gauklerfamilie in eine sonnigere Zukunft fährt. Am Horizont können sie noch sehen, wie der Tod den Ritter und die anderen ins Reich der Dunkelheit führt.

Ingmar Bergmans Film „Das Siebente Siegel“ entstand 1957, also in einer vom kalten Krieg und Zukunftsangst geprägten Welt. Bergman wurde mit ihm zu einem der wichtigsten und berühmtesten Regisseure Europas, gleichzeitig markierte der Film den Beginn seiner langen Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Max von Sydow.

Das Grundthema des Films ist in erster Linie die Religiosität, und in geringerem Maße die zeitgenössische Zukunftsangst, die sich in der apokalyptischen Landschaft widerspiegelt. Antonius und Jöns stehen für zwei gegensätzliche Charaktere: Jöns ist Humanist ohne Religion, während Antonius eine fast fanatische Religiosität verkörpert. Besonders ihre Begegnung mit der Hexe auf ihrem Weg zum Martyrium des Scheiterhaufens macht dies deutlich: den religiösen Ritter interessiert ihr Schicksal nicht, als er sie fragt, ob sie den Teufel gesehen habe. Es ist der atheistische Jöns, der – ganz christlich - Anteil nimmt an ihrem Leiden.

Bergman siedelt diesen Konflikt geschickt in einem fiktiven Mittelalter an, in dem die apokalyptische Stimmung immer wieder von burlesken Momenten gebrochen wird, ganz so, wie es die Bilderwelt mittelalterlicher Maler vermittelt. Dafür liefert ihm sein Kameramann Gunnar Fischer hochkontrastige Bilder, die dem Film dank ihrer erhabenen Schönheit perfekt den Charakter eines zeitlosen Mysterienspiels verleihen. Gelegentliche Kitschmomente werden durch die burlesken Szenen aufgefangen, und es ist erstaunlich, dass Bergman es fertigbringt, diesen Film mit einer guten Portion Humor auszustatten. So ist „Das Siebente Siegel“ nie moralisch, hölzern oder bleischwer, ganz im Gegenteil. Der ständige Wechsel des Grundtons erzeugt einen Kontrast, der die Wirkung der beiden „Gesichter“ des Films – existenzialistisches Mysterienspiel und Burleske – wunderbar intensiviert.

Dass Bergman fortan regelmäßig mit Max von Sydow zusammenarbeiten sollte, ist kaum überraschend. Von Sydows diszipliniertes Spiel und seine markante Physiognomie sind ideal für die Rolle, und sie sind wie geschaffen für Bergmans Filme. Der Regisseur bemerkte einmal, dass von Sydows Bodenständigkeit und Stabilität ihn zum perfekten Darsteller machten von Charakteren, die das genaue Gegenteil sind. Für beide, Regisseur und Hauptdarsteller, ist „Das Siebente Siegel“ ein entscheidender Film gewesen.

Doch er ist nicht nur ein Glanzlicht im Schaffen Ingmar Bergmans. Der Film steht heute auch als Symbol einer Zeit, in der das Weltkino auf der Höhe seiner künstlerischen Entwicklung war, als Kunst und Kommerz eine Verbindung eingingen, die bis heute nachwirkt, auch wenn diese Ära längst untergegangen ist. Kurosawa, Antonioni, Fellini, Malle, Godard, Rosselini, Sirk, Kazan – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen – sie alle waren Ende der fünfziger, zu Beginn der sechziger Jahre auf dem Zenit ihres Schaffens. Und mehr noch, ihre Filme waren kommerziell erfolgreich, und das weltweit. Kino mit hochgesteckten Ambitionen, mit klarer Handschrift eines Regisseurs, mit oft völlig unbekannten Schauspielern, Kino als „Kunst“ auf kommerziellem Siegeszug durch die westliche Welt – wann gab es das zuletzt? Lange, bevor der europäische Film zur hoch subventionierten Rentnerveranstaltung wurde, die außer ein paar in die Jahre gekommenen Nostalgikern niemand mehr sehen möchte, bevor das Wort „Blockbuster“ alles Leben aus dem Kino der Massen vertrieb, sodass nur eine lärmende, rauchende und vollständig sinnentleerte Hülle zurückblieb, die sich das Kino von heute nennt.

(10/10)

 

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