Sonntag, 28. Juni 2020

Die Seltsame Gräfin


Deutschland, 1961. Regie: Josef von Báky

Der „Sunset Boulevard“ unter den Wallace-Filmen

Obwohl sich die Edgar-Wallace-Filmreihe 1961 gerade mal im dritten Jahr befand, erschien mit „Die Seltsame Gräfin“ bereits der neunte Film der Serie in den Kinos. Mit über 2,5 Millionen Besuchern zählt der von Josef von Báky (mit Unterstützung von Jürgen Roland) inszenierte Film zu den kommerziellen Höhepunkten der Serie, und rückblickend sind die Gründe dafür offensichtlich.

Der Plot des Films liefert das für die Reihe übliche Motiv einer unbedarften, jüngeren Generation der Wirtschaftswunder-Ära, die von der finsteren Vergangenheit der Älteren zunehmend überschattet wird. Was könnte für einen deutschen Film der Nachkriegsära treffender sein?

Der aberwitzige Genre-Mix aus Krimi, Groschenroman und Gothic Horror wirft mit den unterschiedlichsten Zutaten so beseelt um sich, dass es eine Freude ist. Alleine die Besetzungsliste muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Stummfilm-Veteranen Lil Dagover und Fritz Rasp neben Nazi-Schauspielgröße Rudolf Fernau, Theater-Legenden wie Marianne Hoppe neben der zukünftigen Verkäuferin von TV-Currywürsten Brigitte Grothum und Berlins patentierter Quäkstimme Edith Hancke. Dazu die obligatorischen Wallace-Teilnehmer Joachim Fuchsberger als personifiziertes Biedermeier und Eddy Arendt als comic relief, der sich diesmal wohltuend zurückhält. Ebenso mit von der Partie ist Klaus Kinski in seiner vielleicht besten Rolle in einem Wallace. Fehlt eigentlich nur Elisabeth Flickenschildt, die leider nicht mit von der Partie ist.

Bei einer solchen Besetzung kann eigentlich nichts mehr schiefgehen, und tatsächlich ist „Die Seltsame Gräfin“ auch aus heutiger Sicht einer der besten Edgar-Wallace-Filme. Am prägnantesten sind wohl seine Anleihen bei Billy Wilders „Sunset Boulevard“, denn wenn Lil Dagover als wirklich seltsame Gräfin mit Kandelaber und wehendem Gewand durch ihr Schloss wandelt, klingt nicht nur eine gehörige Portion gothic horror an, sondern wir sehen die Rialto-Antwort auf Gloria Swanson (die ebenso wie Lil Dagover ein Star der Stummfilmära war). Die Parallelen zu Billy Wilders Film sind zu deutlich, um zufällig zu sein.

„I’m ready for my closeup, Mr. DeMille!“

Die überkandidelte Art, mit der Dagover ihre Gräfin leicht überzeichnet, passt perfekt zum Film, in dem nahezu alle Charaktere am Rande des Wahnsinns wandeln. Auch der eigentlich naturalistisch angelegte Part von Marianne Hoppe gerät durch ihr theatralisches Spiel reichlich aus den Fugen, aber es schadet dem Film nicht, im Gegenteil. Dazu kommt Klaus Kinski als Wahnsinniger, der ständig aus dem Sanatorium ausbricht, um Brigitte Grothums Naivchen zu terrorisieren. Sein Telefonterror erinnert auch ein wenig an Doris Days Martyrium in „Mitternachtsspitzen“ (1960). Kinski schlafwandelt hier mal nicht wie sonst so oft durch den Film, sondern er spielt seine Paraderolle mit sichtlichem Genuss.

Rudolf Fernau gibt dazu den fiesen Nazi-Arzt, eine durchaus passende Rolle für einen Schauspieler, der auf Goebbels‘ Liste der „Gottbegnadeten“ stand und nach dem Krieg einige Probleme dank seiner Nazi-Vergangenheit hatte. Fritz Rasp darf dafür in seiner vierten Wallace-Rolle ausnahmsweise mal einen Sympathieträger spielen, nachdem er dreimal eher finstere Gestalten verkörperte.

Die für die schwarz-weiß-Filme der Reihe übliche expressionistische Lichtsetzung leistet ihr Übriges, um den Film zum schaurig-schönen Spektakel zu machen. Hinter der Kamera stand der Fritz-Lang-erprobte Richard Angst, der in den Folgejahren vor allem bei diversen Bryan-Edgar-Wallace-Verfilmungen für die ausgezeichnete Kameraarbeit verantwortlich war.

Einzig die Musik von Peter Thomas (sein erster Beitrag zur Reihe) tut das, was sie fortan in der Wallace-Reihe immer tut: Sie konterkariert den potentiellen Schrecken des Dargestellten durch ironische Brechung. Aber damit ist sie ein prägender Bestandteil der Reihe, die gerade durch das hemmungslose Nebeneinander des Albernen und des Erhabenen so markant wurde.

Die Blu-Ray-Veröffentlichung von „Die Seltsame Gräfin“ erschien in der Edgar Wallace Edition 6. Die Bildqualität ist etwas zu grobkörnig, an einigen Stellen kommt es zum Flackern und zur Streifenbildung. Neben dem deutschen Ton (wahlweise mit zuschaltbaren UT in Deutsch oder Englisch) gibt’s die englische Synchronisation. Einziges Extra ist der Trailer. Das ist ausgesprochen dürftig, gemessen an den Möglichkeiten, die das Format bietet.

(8/10)


Samstag, 20. Juni 2020

Deadlock

D 1970. Regie: Roland Klick

 

Eine Wüste irgendwo. Ein paar Häuser, dreckig, kaputt und verlassen. Eine Landschaft, so ausgetrocknet, lebensfeindlich und öde, dass man allein vom Zusehen Durst bekommt. Das wenige Leben, das hier noch existiert, ist durch Zufall oder aus Pech zurück geblieben. Hier lebt, oder besser vegetiert Charles (Mario Adorf), genannt „Die Ratte“. Irgendeine Arbeit bindet ihn an diesen Ort, sonst wäre er längst abgehauen, wie alle anderen. Irgendwo in den Ruinen eines Kinos oder Revuetheaters haust außerdem Corinna (Betty Segal), eine Alptraumerscheinung von einer Frau. Wenn sich ein Mann an diesen Ort verirrt, verfolgt sie ihn mit drohend ausgepackten Brüsten. Von ihrer Vergangenheit als Barsängerin ist nichts geblieben als das billige Make-Up, das sie trägt wie eine Kriegsbemalung. Irgendwo lebt auch Jessy, ihre Tochter – debil und weitgehend stumm.

Eines Tages taucht ein verletzter Gauner auf, Kid (Marquard Bohm), schwer verletzt. Bei einem Rauüberfall wurde er angeschossen, so schleppt er sich und einen Koffer voller Geld mit letzter Kraft durch die Wüste. Charles entdeckt ihn, ergreift einen Felsbrocken und hält ihn in Moses-Pose hoch, um Kid zu erschlagen, doch Charles ist ein Feigling und ein Weichling dazu. Er bringt es nicht fertig. So nimmt er Kid bei sich auf, und pflegt ihn gesund. In einem ständigen Katz-und-Maus-Spiel schielen die beiden ständig nach Gelegenheiten, den anderen auszuschalten, um sich das Geld zu sichern. Bis Sunshine (Anthony Dawson) auftaucht, Kids Kompagnon und Partner beim Raubüberfall. Nun sind es drei Männer, die den Geldkoffer an sich reißen wollen. Doch anders als Charles und Kid ist Sunshine weder weich noch gutmütig. Nur einer wird am Schluss übrigbleiben.

„Deadlock“ ist eine seltsame Pflanze – ein deutscher Western, der tatsächlich funktioniert. Roland Klick gehörte kurzzeitig zu den Hoffnungsträgern des neuen deutschen Films, und „Deadlock“ erwies sich 1970 als Überraschungserfolg. Dass Klick dennoch keine große Karriere vergönnt war, sagt einiges über deutsche Befindlichkeiten dieser Zeit. Einen Western zu drehen, und sich dabei den Verpflichtungen des Autorenkinos à la Fassbinder, Wenders, Schlöndorff zu verweigern, wurde offenbar nicht goutiert. Anstatt sich der weitgehenden Kommerzverweigerung seiner Kollegen der 68er Generation anzuschließen, wählte Klick einen Mittelweg: er wollte Filme machen, die die Publikumsrezeption bewusst berücksichtigen, anstatt sich in rein selbstreflektiver Eitelkeit zu verschanzen um politisch hehre „wahre“ Kunst zu schaffen.

Das merkt man „Deadlock“ insofern an, als hier die politische Botschaft fehlt, glücklicherweise. Die Wüste in „Deadlock“ ist weder die psychologisierte innere Wüste der Protagonisten, noch die Wüste der zerrütteten deutschen Nachkriegsgesellschaft. Sie ist einfach nur eine Wüste.

„Deadlock“ ist dennoch kein nur zufällig von einem deutschen Regisseur in der israelischen Wüste gedrehter Italo-Western, auch wenn der Bezug zum filone natürlich nahe liegt. Zur Entstehungszeit von Roland Klicks Film hatte der italienische Western seinen Zenit gerade überschritten, war aber noch immer das dominante europäische Filmgenre. Zwar gibt es zahlreiche Parallelen – so hat Klick offensichtlich viel von Sergio Leones Kino gelernt. Das langsame Tempo, mit dem „Deadlock“ seinen Plot beinahe zufällig laufen lässt, das Schwelgen in Bildern, der Wechsel von Landschaftstotalen und extremen Nahaufnahmen von Gesichts-Landschaften; all diese Elemente weisen deutlich auf Leones Einfluss hin. Auch die Drastik der Darstellung, die gelegentlich ins Groteske umschlägt, hat ihre Vorbilder im italienischen Western. Aber anders als die italienischen Regisseure zählt Klick weder den Comic-Strip noch die Oper zu seinen stilistischen Einflüssen. Insofern ist er vielleicht doch ein Autorenfilmer. „Deadlock“ erinnert eben nicht nur an Leone, er hat gleichermaßen viel mit Jodorowsky gemein, dessen „El Topo“ im gleichen Jahr eine ähnliche Genre-Hybride schuf. Klicks Film verlangt ebenso wie sein chilenischer Seelenverwandter dem Zuschauer einiges ab, und ist dennoch ein höchst lohnenswertes Seherlebnis.

Das Label Filmgalerie 451 hat sich vor rund zehn Jahren des Werks von Roland Klick angenommen und seinem bekanntesten Film eine rundum gelungene DVD-Edition gegönnt. Neben vorbildlicher Bildqualität bietet die Auflage in der roten Reihe des Labels die deutsche und die englische Sprachfassung, eine Audiokommentar des Regisseurs, zwei Dokus zur Entstehung des Films und über Roland Klick, sowie ein Interview. Daneben gibt es den vollständigen Soundtrack, der von der Krautrock-Institution Can stammt. Eine Blu-Ray-Veröffentlichung von „Deadlock“ steht bislang noch aus. 2019 erschien Klicks Debütfilm „Bübchen“ auf Blu-Ray, bleibt also zu hoffen, dass hier noch weitere BD-Veröffentlichungen des zu Unrecht vergessenen Regisseurs folgen werden.

(7/10)

 

 

Das Siebente Siegel

(Det Sjunde inseglet)


Schweden, 1957. Regie: Ingmar Bergman

Schweden, 12. Jahrhundert. Ritter Antonius Block (Max von Sydow) und sein Knappe Jöns (Gunnar Björnstrand) sind auf der Heimkehr von einem Kreuzzug durchs heilige Land. Sie finden ihre Heimat entfremdet und von der Pest verwüstet. Es scheint, als sei das Ende der Welt gekommen: Bauern erzählen von apokalyptischen Zeichen, von Missgeburten und Vorahnungen. Das Zuhause, das die beiden auffinden, scheint kaum weniger schrecklich als das, was sie während der langen Jahre des Kreuzzuges mit ansehen mussten. Die Welt ist aus den Fugen, die natürliche und göttliche Ordnung außer Kraft gesetzt, die Angst regiert.

Doch Antonius Block scheint all das kaum wahrzunehmen, denn er ist getrieben von einem inneren Konflikt: er hat seinen Glauben verloren. Nun brennt in ihm das Verlangen, Gott möge sich zu erkennen geben, ihm ein Zeichen senden, damit er seinen Glauben wieder findet, damit er Gewissheit erlangt, wo ihn die Zweifel quälen. Sein Knappe Jöns dagegen ist ein nüchterner Atheist, dem Diesseits mehr zugewandt als sein Herr. Als sie ihre Reise durch die karge Küstenlandschaft antreten, begegnet Antonius der Tod. Er sei gekommen, ihn zu holen, sagt er. Doch Antonius ist noch nicht bereit, zu sehr bestimmt ihn das Verlangen nach Erkenntnis. Er erbittet eine letzte Frist. Sie einigen sich auf ein Schachspiel, für dessen Dauer ihm ein Aufschub gewährt wird.

So reiten der Ritter und sein Knappe weiter, vorbei an bizarren Prozessionen von sich kasteienden Gläubigen und Hexenverbrennungen. Doch unterwegs begegnet ihnen auch ein junges Gauklerpaar, voller Optimismus und Hoffnung auf ein friedliches Leben. In diesen erkennt Antonius eine Art heilige Familie, und ihn überkommt die Angst, der Tod könne sie ebenso mit sich nehmen, wie alle anderen. Es gelingt ihm, den Tod durch ein geschicktes Manöver beim Spiel kurz abzulenken, sodass die Gaukler unbemerkt abreisen können. Antonius erreicht schließlich seine Burg, wo seine Frau bereits auf ihn wartet, während alle anderen vor der Pest geflohen sind. Sie alle werden am Ende vom Tod ereilt, während die junge Gauklerfamilie in eine sonnigere Zukunft fährt. Am Horizont können sie noch sehen, wie der Tod den Ritter und die anderen ins Reich der Dunkelheit führt.

Ingmar Bergmans Film „Das Siebente Siegel“ entstand 1957, also in einer vom kalten Krieg und Zukunftsangst geprägten Welt. Bergman wurde mit ihm zu einem der wichtigsten und berühmtesten Regisseure Europas, gleichzeitig markierte der Film den Beginn seiner langen Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Max von Sydow.

Das Grundthema des Films ist in erster Linie die Religiosität, und in geringerem Maße die zeitgenössische Zukunftsangst, die sich in der apokalyptischen Landschaft widerspiegelt. Antonius und Jöns stehen für zwei gegensätzliche Charaktere: Jöns ist Humanist ohne Religion, während Antonius eine fast fanatische Religiosität verkörpert. Besonders ihre Begegnung mit der Hexe auf ihrem Weg zum Martyrium des Scheiterhaufens macht dies deutlich: den religiösen Ritter interessiert ihr Schicksal nicht, als er sie fragt, ob sie den Teufel gesehen habe. Es ist der atheistische Jöns, der – ganz christlich - Anteil nimmt an ihrem Leiden.

Bergman siedelt diesen Konflikt geschickt in einem fiktiven Mittelalter an, in dem die apokalyptische Stimmung immer wieder von burlesken Momenten gebrochen wird, ganz so, wie es die Bilderwelt mittelalterlicher Maler vermittelt. Dafür liefert ihm sein Kameramann Gunnar Fischer hochkontrastige Bilder, die dem Film dank ihrer erhabenen Schönheit perfekt den Charakter eines zeitlosen Mysterienspiels verleihen. Gelegentliche Kitschmomente werden durch die burlesken Szenen aufgefangen, und es ist erstaunlich, dass Bergman es fertigbringt, diesen Film mit einer guten Portion Humor auszustatten. So ist „Das Siebente Siegel“ nie moralisch, hölzern oder bleischwer, ganz im Gegenteil. Der ständige Wechsel des Grundtons erzeugt einen Kontrast, der die Wirkung der beiden „Gesichter“ des Films – existenzialistisches Mysterienspiel und Burleske – wunderbar intensiviert.

Dass Bergman fortan regelmäßig mit Max von Sydow zusammenarbeiten sollte, ist kaum überraschend. Von Sydows diszipliniertes Spiel und seine markante Physiognomie sind ideal für die Rolle, und sie sind wie geschaffen für Bergmans Filme. Der Regisseur bemerkte einmal, dass von Sydows Bodenständigkeit und Stabilität ihn zum perfekten Darsteller machten von Charakteren, die das genaue Gegenteil sind. Für beide, Regisseur und Hauptdarsteller, ist „Das Siebente Siegel“ ein entscheidender Film gewesen.

Doch er ist nicht nur ein Glanzlicht im Schaffen Ingmar Bergmans. Der Film steht heute auch als Symbol einer Zeit, in der das Weltkino auf der Höhe seiner künstlerischen Entwicklung war, als Kunst und Kommerz eine Verbindung eingingen, die bis heute nachwirkt, auch wenn diese Ära längst untergegangen ist. Kurosawa, Antonioni, Fellini, Malle, Godard, Rosselini, Sirk, Kazan – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen – sie alle waren Ende der fünfziger, zu Beginn der sechziger Jahre auf dem Zenit ihres Schaffens. Und mehr noch, ihre Filme waren kommerziell erfolgreich, und das weltweit. Kino mit hochgesteckten Ambitionen, mit klarer Handschrift eines Regisseurs, mit oft völlig unbekannten Schauspielern, Kino als „Kunst“ auf kommerziellem Siegeszug durch die westliche Welt – wann gab es das zuletzt? Lange, bevor der europäische Film zur hoch subventionierten Rentnerveranstaltung wurde, die außer ein paar in die Jahre gekommenen Nostalgikern niemand mehr sehen möchte, bevor das Wort „Blockbuster“ alles Leben aus dem Kino der Massen vertrieb, sodass nur eine lärmende, rauchende und vollständig sinnentleerte Hülle zurückblieb, die sich das Kino von heute nennt.

(10/10)

 

Blade Runner



USA, 1982. Regie: Ridley Scott

Das Los Angeles des Jahres 2019 (ja, die Zeit hat den Film tatsächlich bereits überholt) ist ein riesiges Chinatown, ein Moloch ohne Grenzen und ohne Sonnenlicht oder sonstige Anzeichen von Natur. Menschen, Gebäude, Fahrzeuge überall, ein wildes Gemisch aus Sprachen, Identitäten. Die Menschheit hat damit begonnen, andere Planeten zu kolonialisieren. Um die gefährliche Aufbauarbeit zu übernehmen wurden Replikanten entwickelt, Humanoiden, die so perfekt sind, dass sie vom Menschen nicht mehr zu unterscheiden sind - es sei denn, man blickt in ihr seelisches Innenleben. Sie verfügen zwar über Emotionen und Erinnerungen, doch deren Künstlichkeit lässt sich zumindest mit Hilfe von gezielten Untersuchungen und Befragungen erkennen. Generell aber beginnt der Unterschied zwischen Mensch und Replikant zu verwischen. Nach mehreren blutigen Rebellionen von Replikanten werden sie auf der Erde gänzlich verboten und dürfen nur noch in den Kolonien eingesetzt werden. Nach einer erneuten Rebellion gelangt eine kleine Gruppe von Replikanten auf die Erde – wo bereits Jagd auf sie gemacht wird. Sogenannte Blade Runner sollen sie eliminieren, ihre Exekution wird „retirement“ genannt, also Pensionierung. Mit der Hilfe der Firma Tyrell, die die Replikanten produziert hat, macht sich der Blade Runner Rick Deckard (Harrison Ford) auf die Suche nach den sechs Replikanten, die von Roy Batty (Rudger Hauer) angeführt werden. Bei Tyrell macht Deckard Bekanntschaft mit Rachel (Sean Young), und verliebt sich in sie – wissend, dass sie ebenfalls ein Replikant ist. Sie selbst weiß es allerdings noch nicht, sie hält zunächst die Erinnerungen, die man ihr eingepflanzt hat, für real. Während Deckard die flüchtigen Replikanten einen nach dem anderen stellt und „pensioniert“, erkennt Rachel allmählich ihre wirkliche Natur. Der Höhepunkt des Films ist der Zweikampf zwischen Deckard und Batty, zwischen Mensch und Replikant. Es ist ausdrücklich kein Kampf zwischen Mensch und Maschine, den Ridley Scott hier inszeniert, sondern zwischen Mensch und Übermensch.

Es sind ganz klassische Themen und Motive, die sich durch den ganzen Film ziehen: Schöpfer und Schöpfung, Prometheus, Titanen, und der Kampf der gefallenen Engel. Nicht ganz zufällig legt das exzellente Drehbuch Batty immer wieder Zeilen in den Mund, die stark an den Luzifer aus Miltons Versepos „Paradise Lost“ erinnern. Immer wieder wird die Begegnung des künstlich erschaffenen Wesens mit seinem Schöpfer inszeniert, das verleiht „Blade Runner“ einen unwiderstehlichen existenzialistischen Subtext. Assoziationen an Collodi und seine beseelte Puppe Pinocchio gibt es zuhauf, und nicht nur darin erscheint Ridley Scotts Meisterwerk als ein Vorbild für Kubricks/Spielbergs Schöpfungs-SciFi „Ai – Artificial Intelligence“.  Anders als Spielbergs Variante des Themas versinkt Scotts Film nicht im Gefühlskitsch, dafür sorgt schon der erzählerische Rahmen, den Scott gewählt hat. „Blade Runner“ ist ein Science Fiction, der in der Sprache eines Hard-Boiled Krimis erzählt ist, ein Film Noir im SciFi-Gewand. Deckard ist im Grunde eine Philip Marlowe-Figur, und der Großstadtdschungel wird hier ersetzt durch den futuristischen Moloch. Vermutlich rührt daher die Entscheidung des Studios, dem Film eine Voiceover-Narration zu verleihen, wie man sie aus zahlreichen Film Noir Klassikern kennt. Dass Ridley Scott damit nicht glücklich sein konnte, liegt nahe - normalerweise benutzt man ein Voiceover, um jene Elemente einer Geschichte zu erzählen, die der Regisseur visuell nicht umzusetzen vermag. Tatsächlich hatte die Narration aber eher einen atmosphärischen Effekt, sie markierte den leicht melancholisch-lapidaren Ton des Films. Ohne die erzählende und erklärende Stimme (sie wurde im Director's Cut entfernt) gewinnt der Film natürlich an Ambivalenz, und das tut ihm gut.

„Blade Runner“ ist ein großartiger Film, voll von Bildern und Ideen, diszipliniert ohne jede Langatmigkeit oder Weitschweifigkeit inszeniert. Nachdem er zunächst im Kino gefloppt ist, zählt er längst zum Kanon des Genrefilms. Er ist sicherlich einer der besten des Regisseurs Ridley Scott, der nicht immer ganz qualitätssicher zwischen Meisterwerken („Alien“, „Thelma & Louise“) und Blockbuster-Trash („Hannibal“, „Gladiator“) schwankt. „Blade Runner“ ist auch deshalb großartig, weil neben dem großen Ganzen auch jedes Detail beeindruckt. So sind praktisch alle Rollen exzellent besetzt, und besonders Rutger Hauer leistet hier eine Brando-Imitation die einen bedauern lässt, dass man den 2019 verstorbenen Holländer meist nur in B-Ware zu sehen bekam. Daneben schwelgt „Blade Runner“ geradezu in markanten Bildern. Die Megalopolis, in der es immer Nacht zu sein scheint und immer regnet, mit ihren bizarren Hochhäusern in Form aztekischer Pyramiden, ist natürlich eine direkte Verwandte von Fritz Langs Ur-Moloch „Metropolis“. Typische früh-80er New Wave und Neon Ästhetik gibt es zuhauf, und Daryl Hannah sieht ein bisschen aus wie die kleine Schwester von Hazel O’Connor oder Siouxsie. Im Tyrell-Büro dagegen geht es zu wie in der Reichskanzlei oder in Mussolinis Rom, hier dominiert eine überspitzte 30er Faschismus-Ästhetik, bis hin zur Frisur und Kleidung von Rachel - bei dem Übermenschen-Thema sicher nicht ganz zufällig.

In seiner Diszipliniertheit und Detailversessenheit könnte „Blade Runner“ beinahe von Kubrick stammen, tatsächlich war er erst die dritte vollwertige Regiearbeit von Scott. Ein Grund, weshalb der Film noch heute so fasziniert liegt sicherlich in der Art, wie er seinen Stoff eben nicht trivialisiert. Man stelle sich vor, Spielberg oder irgendein anderer Blockbuster-Regisseur (vielleicht sogar Scott selbst) würde den Stoff heute verfilmen. Das Resultat böte ohne Zweifel jede Menge Dröhnästhetik, zentnerschwere Donnermusik nonstop und eine Gut-und-Böse-Struktur, die ein Dreijähriger nach zehn Minuten durchschaut hätte. Damit ist „Blade Runner“ ein Relikt aus Zeiten, bevor das Blockbuster-Syndrom noch jeden Mainstreamfilm aus Hollywood infizierte und eine halbwegs intelligent erzählte Geschichte zur Mangelware wurde.

(10/10)

Sonntag, 14. Juni 2020

E Dio disse a Caino (Satan der Rache)


It./D, 1969. Regie: Antonio Margheriti

Während Italiens Großmeister des Genrekinos Mario Bava mittlerweile im In- und Ausland dank hervorragender BD-Editionen längst werkumfasssend gewürdigt wird, fristet das Werk seines Landsmannes Antonio Margheriti noch immer ein Schattendasein, von einigen wenigen kompetenten Veröffentlichungen - meist als DVD - mal abgesehen („Castle of Blood“ bei Synapse/USA, „Virgin of  Nuremberg“/“Schloß des Grauens“ bei Shriek Show/USA und Koch/D, „Seven Deaths in the Cat’s Eye“ bei Blue Underground/USA, „Naked... you die“/“Sieben Jungfrauen für den Teufel“ bei Dark Sky/USA und X-Rated/D). Das ist schade, denn Margheriti war zwar ein vielfilmender Tausendsassa, der in allen Genres aktiv war und auch einiges an Trash fabriziert hat, dennoch bietet seine Filmografie genug Hervorragendes, sodass sich ein genauerer Blick außerordentlich lohnt. Einen Großteil seiner Filme unterschrieb er mit seinem vermarktungsfreundlicheren nome-de-plume Anthony Dawson. Bekannt ist er wohl in erster Linie für seine Horrorfilme, seine Arbeiten im Science-Fiction dagegen sind heute fast vergessen, obwohl es hier einige Perlen des 60s-Pop-Art-Films zu entdecken gäbe („Criminali della Galassia“/“Raumschiff Alpha“/“The Wild Wild Planet“, 1965). Wie Mario Bava war Margheriti natürlich auch in dem kommerziell erträglichsten Feld der italienischen Filmproduktion der 60er tätig: dem Spaghetti-Western. Sein zweifellos bester Beitrag zum Genre ist der 1969 als italienisch-deutsche Koproduktion gedrehte „E Dio disse a Caino“/“Satan der Rache“ mit Klaus Kinski in der Hauptrolle. e-m-s, neben Koch und Anolis zeitweise Vorreiter in angemessenen Genreveröffentlichungen (bis zur Auflösung der Firma 2012), hat schon 2005 eine gelungene, wenn auch nicht perfekte DVD des Films auf den deutschen Markt gebracht, die trotz einiger Bildmängel noch immer zu empfehlen ist.

Während viele Italo-Western durchaus einzelne Elemente des Horrorfilms aufnehmen aber im Kern doch Western bleiben, ist Margheriti hier die perfekteste Synthese beider Genres gelungen. „Satan der Rache“ ist ein atmosphärisch dichter, spannender und origineller Gothic-Western, den man zu den besten Italo-Western zählen kann. 

Gary Hamilton (Klaus Kinski) wird nach 10 Jahren Arbeitslager entlassen, und er kennt nur einen Gedanken: Rache am örtlichen Strippenzieher Acombar, der ihm einst einen Mord anhängte, um sich anschließend nicht nur Hamiltons Besitzes, sondern auch dessen Geliebter zu bemächtigen. 
In der von Acombar kontrollierten Stadt spricht sich schnell rum, dass Hamilton wieder frei ist, Unruhe breitet sich aus. Düstere Vogelschwärme und ein aufziehender Tornado sind Vorboten des Untergangs, die Natur scheint im Verbund mit dem Rächer.  

Kinski spielt den Racheengel stoisch und mit sparsamer Mimik vor dem Hintergrund einer sich in Panik auflösenden Ordnung. Selten wurde die Bedrohung herannahenden Unheils so gekonnt inszeniert, Margheriti fährt dabei nach und nach das ganze Arsenal des Gothic-Horror auf: Eine sich gegen die gestörte Ordnung (Unrecht) wehrende Natur, ein mehr und mehr ins irrationale abdriftendes Verhalten der Schuldigen, Kirchenglocken, die den Untergang ankündigen, knarrende Türen, wehende Vorhänge. Ein Spiegelsaal (ein Schuft, wer dabei an Orson Welles denkt!) verbildlicht die Verunsicherung der Gejagten, und das düstere Familiengeheimnis verbirgt sich – natürlich – hinter dem Spiegel. Wie in einer shakespearschen Rachetragödie nimmt das Unheil seinen Lauf, keiner kann es aufhalten, keiner seinem Schicksal entkommen. Eine Frau am Klavier spielt ahnungsvoll schwermütige Melodien (siehe auch „Long Hair of Death“, „Die Stunde, wenn Dracula kommt“, „Der Dämon und die Jungfrau“), Kerzenleuchter illuminieren die Räume, und fast könnte man meinen, die dem Untergang geweihte Familie wohne in einer Burg anstelle des andalusischen Anwesens, das als Kulisse dient. Wo im herkömmlichen Western meist mit Gewehrkugeln gemordet wird, sterben die Handlanger Acombars in bester Gothic-Horror-Manier durch Aufhängen (am Glockenseil!), zerteilen (durch die Kirchenglocke!!), oder sie hängen aufgespießt am Haken. Alles andere als ein Standardwestern also, am ehesten lässt sich Margheritis Film noch mit Canevaris „Willkommen in der Hölle“/“Matalo!“ vergleichen, auch wenn er nicht dessen Durchgeknalltheit besitzt .

Die Westernstadt, durch die der Sturm fegt, wird in „Satan der Rache“ mehr und mehr zum Ersatz-Spukschloss. In einer Geschichte um Schuld, Sünde und Rache darf auch das sakrale nicht fehlen, und so gibt es Kirchenorgeln und einen stummen Pfarrer, der regungslos und fatalistisch den Opfertod stirbt. Während sich über der Erde Angst und Schrecken verbreiten, bewegt sich der unwirklich erscheinende Racheengel unterirdisch durch verlassene Katakomben, angefüllt mit indianischen Kultobjekten und Gräbern. Wer will, kann hier Psychologisches hineinlesen (Unterbewusstsein), oder aber sich einfach nur wohlig gruseln. Schließlich gerät die Dynamik der Schuld vollends außer Kontrolle, und die Familie Acombars löscht sich selbst aus. Das reinigende Feuer, das ihr Anwesen verschlingt, erinnert wohl nicht ganz zufällig an Roger Cormans „Untergang des Hauses Usher“. Am nächsten Tag, als der Tornado und mit ihm der Rächer verschwunden sind, ist nichts mehr wie es war. 

Das Motiv des zu Unrecht verurteilten, der zum Racheengel wird, liegt wohl mehr oder weniger den meisten Spaghetti-Western zugrunde, dennoch gelingt es Margheriti, durch stilistische Überhöhung und Verdichtung diesem altbekannten Handlungsmuster ein Maximum an Spannung und Atmosphäre abzugewinnen. Gleichzeitig würzt er den Film mit einer moralischen Ambivalenz – am Ende setzt er das Bibelzitat um Kain und das Blut, das er vergossen hat (der italienische Originaltitel des Films bedeutet „Und Gott sprach zu Kain“), gemeint ist damit der „gerechte“ Rächer Hamilton, den Gott verflucht und zu einem unsteten Leben auf der Flucht verdammt. 

Neben Kinski profitiert der Film von einer guten Besetzung – Peter Carsten, der auch Koproduzent war, spielt den gehetzten Acombar glaubhaft, Marcella Michelangeli als ex-Geliebte Hamiltons und Acombars Frau hätte auch jeden Horrorfilm der Dekade geziert, und Luciano Pigozzi hat einen seiner zahlreichen Auftritte als „Italiens Peter Lorre“, ihm gönnt Margheriti ein besonders denkwürdiges Ende. 

Eine HD-Veröffentlichung des Films steht noch aus, bislang ist nur die DVD von e-m-s verfügbar. Die Bildqualität der nun schon etwas älteren Editión schwankt zwar an einigen Stellen ganz erheblich, bleibt aber immer im annehmbaren Bereich. Neben der guten deutschen Synchro gibt es den italienischen Originalton in guter Qualität, Trailer, Filmografien zu Kinski und Margheriti und die übliche Bildergalerie. Verpackt ist das Ganze im stilecht gestalteten Schuber. Natürlich wären mehr Extras schön gewesen – etwa eine Doku über den Regisseur, doch dafür bieten sich ja noch genügend Gelegenheiten, denn eine Wiederentdeckung von Margheritis umfangreichem Werk ist dringend überfällig. 
(8/10)

Silbersattel (Sella d'argento)

Italien / Spanien 1978, Regie: Lucio Fulci

 Roy Blood (Giuliano Gemma) ist ein Pistolero wider Willen. Durch einen tragischen Umstand wurde er als Kind zum Rächer seines Vaters, seitdem reitet er auf dem silbernen Sattel des Mannes, der seinen Vater kaltblütig ermordet hatte, durch die melancholische Westernwelt Südspaniens.

Doch er entkommt seinem Schicksal nicht: zufällig trifft er auf den jüngsten Spross der Barrett-Familie, aus der auch der Mörder seines Vaters stammte. Der kleine Barrett jr. soll mit Hilfe des gefürchteten Banditen Garrincha entführt werden, damit will Thomas Barrett seine Schwester und Konkurrentin ums Familienerbe aus dem Weg räumen. So wird Roy Blood einmal mehr wider Willen zum Rächer, und für den kleinen Barrett jr. zum ganz und gar unfreiwilligen Ersatzvater.

 „Sella d'argento“ war Fulcis dritter und letzter Western (die beiden „Wolfsblut“-Filme nicht mitgezählt). War „Django - Sein Gesangbuch war der Colt“ von 1966 noch ein lupenreiner Spaghetti-Western, so zählte der düstere  „Verdammt zu leben - verdammt zu sterben!“ von 1975 schon zu den Vertretern der Spätphase des Genres.

„Silbersattel“ entstand 1978, als das Genre längst als mausetot galt. Dennoch ist „Sella d'argento“ kein Abgesang auf das Genre, noch ein typischer Vertreter der überwiegend düsteren Endphase des europäischen Westerns. Der vorherrschende Ton ist eher melancholisch und entspannt. Fulcis Augenmerk liegt hier einmal nicht auf Drama und Schockmomenten, stattdessen dreht sich der Film  in erster Linie um die Beziehung zwischen dem kleinen Jungen und Roy Blood. Diesem Umstand muss sich sogar die potentielle Herzensdame unterwerfen, die kaum mehr als Beiwerk ist. Nicht untypisch für einen Vertreter eines Genres, in dem es traditionell um Beziehungen unter Männern geht. Frauen sind hier normalerweise nur als Huren oder Mütter zu sehen, und in beiden Fällen müssen sie in der Regel sterben. Dieses Schicksal bleibt Margaret Barrett (Cinzia Monreale) erspart, aber dafür bezahlt sie mit der Marginalität ihrer Rolle. Eine Männerwelt bekommen wir also auch hier präsentiert, wenn auch mit einem Kind in einer tragenden Rolle.

 Giuliano Gemma weiß recht gut, mit dieser Perspektivenverlagerung umzugehen. Obwohl er ein recht zurückhaltend agierender Schauspieler ist, schafft er es durchweg, seine Rolle als unfreiwilliger Stiefvater lebendig und mit Blick für Feinheiten zu gestalten. „Silbersattel“ ist ganz und gar Gemmas Film. Neben Gianni Garko gehört er zu den vielseitigsten italienischen Schauspielern, die bis heute -immerhin sind beide um die 70 – gut im Geschäft sind. In Deutschland kennt man sie fast ausschließlich durch ihre Westernrollen, doch in Italien schätzt man beide als Allrounddarsteller.

Was man von Jungschauspieler Sven Valsecchi in der Rolle des Barrett jr. nicht gerade behaupten kann. Mehr als ein unschönes Grinsen mit Zahnlücke wirft er nicht in die Waagschale, und so überrascht es nicht, dass die Filmkarriere des Kleinen bereits ein Jahr später vorbei war.

Neben Gemma agieren der Amerikaner Geoffrey Lewis mit unglaublicher Knautschvisage in der Rolle des zwielichtigen Leichenfledderers Snake, sowie Cinzia Monreale als Margaret Barrett. Monreale agiert hier recht farblos, doch sie hatte in den Folgejahren noch einige denkwürdige Auftritte in Genrefilmen vor sich – als blinde Emily in Fulcis Zombie-Splatter-Phantasmagorie „E tu vivrai nel terrore – L'aldilà“ (Geisterstadt der Zombies, 1981), und in einer Doppelrolle in D'Amatos Nekrophilie-Saga „Buio Omega“ (Sado - Stoß das Tor zur Hölle auf, 1979).

Die wichtigste Rolle neben Gemma spielt in diesem Film aber Sergio Salvati, Fulcis Kameramann. „Silbersattel“ ist durchweg hervorragend fotografiert, und Salvati nutzt die Schauwerte des Drehorts bei Almeria optimal aus. Visuell ist „Silbersattel“ meistens eine dankbare Angelegenheit, auch wenn der Plot sich mitunter ein wenig zu entspannt entfaltet. Den inszenatorischen Schmiss, den Fulci in seinen besseren Filmen bewies, sucht man hier leider vergeblich. Auch wenn der Film nicht unbedingt langweilig ist, wirklich packend ist er jedenfalls auch nicht.

Das größte Problem von „Silbersattel“ ist allerdings akustischer Natur. Die Filmmusik von Bixio,   Frizzi und Tempera ist eine einzige Zumutung. Nicht nur, dass sie für den Film ein besonders hinterhältiges Gebräu aus Country-Folk-Hippie-Softrock verbrochen haben, das dem Film gelegentlich einen leicht komatösen Charakter verleiht, dieses Trio Infernal der Filmmusik hat dazu auch noch einen Titelsong komponiert, der das Rennen um den widerwärtigsten Filmsong ohne Anstrengung macht. Gesungen zudem von einem grässlichen Sänger, das versteht sich fast von selbst. Doch nicht genug der Audio-Folter: Fulci hielt es auch noch für angemessen, jene Titelsong-Zumutung im zehn-Minuten-Rhythmus immer wieder über den Film kommen zu lassen. So muss systematische Folter aussehen: kaum reitet Gemma irgendwo in die Landschaft, schon zuckt man als Betrachter zusammen, weil man fürchtet, dass das gleiche Lied schon wieder erklingt. Und das tut es jedesmal! Nachdem ich dieses Prinzip begriffen hatte, griff ich sofort zur Stummschaltung, sobald sich eine Lücke in der Handlung auftat oder Gemma sein Pferd in Richtung Wildnis steuerte.

Möglicherweise sind Fans von Crosby, Stills & Nash und Joan Baez immun gegen diese Art von Folter.

„Silbersattel“ gehört kaum zu den wichtigen oder denkwürdigen Vertretern des Italo-Western, und auch für Fulci-Fans wird er kaum mehr als eine Randnotiz sein im Oeuvre dieses reichlich widersprüchlichen Regisseurs. Der rundum softe, in herbstliche Farben getauchte und leicht schläfrige Stil des Films lässt sich noch am ehesten mit dem ein Jahr zuvor entstandenen „Sette note in nero“ vergleichen, der sich zum Giallo-Genre ähnlich verhält wie „Silbersattel“ zum Spaghetti-Western. Man würde kaum vermuten, dass Fulci nur ein Jahr nach diesem Film ein Quartett von Horrorepen von der Leine lassen würde, das seinerzeit Zensoren und Moralwächter an den Rand des kollektiven Herzinfarktes brachte.

Europas führende Spezialisten in Sachen Italo-Western, Koch Media, gönnten Fulcis Spätwestern eine tadellose DVD-Veröffentlichung im Rahmen der regenbogenfarbenen Italo-Western-Reihe. Die Bildqualität ist hervorragend, und lobenswerter Weise sind neben der deutschen Synchro sowohl die italienische als auch die englische Sprachfassung auf der DVD enthalten. Deutsche Untertitel sind optional. Unter den Extras findet man den alten deutschen Vorspann, den englischen Trailer und zwei Interviews. Fabio Frizzi, einer der Komponisten der Filmmusik, erzählt von seinen Erfahrungen mit Fulci, während der Cutter Bruno Micheli Einblicke in seine Arbeit am Film gibt. Dazu eine Bildergalerie mit Filmplakaten und Standfotos, sowie einen soliden Klappentext auf dem Digipack.

Alles in allem eine tadellose Edition eines zwiespältigen und nicht wirklich wichtigen Films. Allerdings - wenn „Silbersattel“ nicht schon der schlimmen Musik wegen einen Platz in der Filmgeschichte verdient hat, so ist ihm wenigstens der Ruhm sicher, die albernste Schlussszene des gesamten Westerngenres zu liefern. Die ist so dämlich, dass man sie dann doch irgendwie gesehen haben muss. 



Cjamango (Django - Kreuze im blutigen Sand)


It., 1967. Regie: Edoardo Mulargia


Revolverheld Cjamango – in der deutschen Fassung wurde aus ihm eine weitere Django-Inkarnation – hat Glück im Spiel. Gerade hat er einen üppigen Goldschatz zweifelhafter Herkunft gewonnen, ob er dabei getrickst hat, bleibt unklar. Doch sein Glück währt nicht lange – kaum hat er seinen Spielpartner ins Jenseits befördert, weil dieser sich als kein guter Verlierer erwies, schon droht Cjamango das gleiche Schicksal. Eine schiesswütige Bande überfällt das Lokal und knallt alles nieder, was sich bewegt. Cjamango überlebt verletzt, doch das Gold ist er los. Wenig geneigt, sich damit abzufinden, macht er sich auf die Suche nach den Räubern. Dabei verschlägt es ihn in ein Dorf, das sich gerade in heller Aufruhr befindet. Die Bewohner glauben, die Pest sei ausgebrochen und verlassen den Ort fluchtartig. Zurück bleiben zwei rivalisierende Banden – eine von beiden hat sich das Gold unter den Nagel gerissen, die andere ist fest entschlossen, es den Rivalen abzujagen. Außer ihnen blieben noch eine Frau und ein kleiner Junge im Dorf zurück, sie versuchen sich zwischen den Fronten zu behaupten.

Cjamango aber interessiert nur das Gold – so versucht er, eine Bande gegen die andere auszuspielen. Doch da gibt es noch einen weiteren Fremden, der Cjamango auffällig dicht auf den Fersen bleibt.

Vieles an „Cjamango“/“Django – Kreuze im Blutigen Sand“ erinnert natürlich an die Mutter aller Spaghetti-Western, Sergio Leones „Für eine Handvoll Dollar“. Der einsame, schweigsame Pistolero, der – von nicht immer hehren Beweggründen getrieben – am Ort des Geschehens auftaucht und die lokalen Platzhirsche gegeneinander ausspielt, dieses Plot-Grundmuster geht unzweifelhaft auf Leone zurück. Auch die einsame Frauenfigur, die in dieser manisch aufs Morden und Sterben fixierten Männergesellschaft mit allen Mitteln ums Überleben kämpft, hat ihr Vorbild in Marianne Kochs Rolle im erstem Dollar-Film.

Was den Plot anbetrifft, liefert Edoardo Mulargias Film also kaum Überraschungen, sieht man einmal von der „unerwarteten“ Wendung ab, die das Geschehen kurz vor Schluss nimmt, und die für den aufmerksamen Zuschauer so unerwartet natürlich gar nicht kommt. Ansonsten variiert „Cjamango“ das bewährte Grundmuster kaum. Der Protagonist ist ein Schurke, wenn auch kein ganz mieser, die Gangsterbosse sind raffgierig und eiskalt, und die einzige Frau im Dorf ist auch alles andere als eine Heilige. Ihr Schicksal ist das der meisten Frauenfiguren im Italo-Western: es gibt für sie schlicht keinen Platz, so kann sie nur scheitern. Das bedeutet, dass sie von der Bildfläche verschwinden muss (wie Marianne Koch in Leones Film), ansonsten wartet der unausweichliche, gewaltsame Tod auf sie.

Und auch ein wirkliches Happy-End gibt es nicht in diesem nihilistischen Kosmos – hier wird keine natürliche Ordnung wieder hergestellt (anders als im amerikanischen Western), sondern das Spiel geht ewig so weiter und wer zuletzt lacht, der lacht immer noch am besten.

Nicht nur inhaltlich, auch Stilistisch hält sich Regisseur Mulargia weitgehend zurück. Der offenbar mit wenig Geld gedrehte Film ist routiniert und straff inszeniert, es fallen weder Längen noch nennenswerte visuelle Mätzchen auf. „Cjamango“ gehört eindeutig nicht zu den barock-bizarren Vertretern des Italo-Western, noch verfällt er in Klamauk, auch wenn die deutsche Synchro (Rainer Brandt mal wieder....) sich redlich Mühe gibt: „E.W.G. – einer wird gewinnen“ lässt er Cjamango nach gewonnenem Kartenspiel sagen. Besser ist man hier eindeutig mit der italienischen Originaltonfassung beraten, schon weil dieses mal nahezu alle Darsteller mit Ausnahme von Hargitay offenbar italienisch sprechen. Der Grundton des Films ist ernst, wenn auch nicht tragisch oder zu sentimental, und so laufen die ständigen Versuche der deutschen Synchronregie, das Ganze auf Kalauer hin zu trimmen, zwangsläufig ins Leere.


Die Hauptrolle des Cjamango spielt der kroatischstämmige Italiener Ivan Rassimov, damals noch unter dem Pseudonym Sean Todd. In den Folgejahren entwickelte sich Rassimov zum vielbeschäftigten Genredarsteller, der dank seines markanten Gesichts zunächst vom Regisseur Sergio Martino bevorzugt als dämonische Nebenfigur in seinen Gialli besetzt wurde. Später drehte Rassimov mit Umberto Lenzi und Ruggero Deodato einige legendär-berüchtigte Kannibalen-Filme, spielte mit wechselnden Haarfarben in diversen Poliziotteschi den Schurken und tauchte an der Seite von Laura Gemser in zwei Emanuelle-Filmen von Joe D’Amato auf.

In „Cjamango“ steht Rasimov, dessen Schwester Rada übrigens ebenfalls eine Karriere im Genrefilm verfolgte, noch am Beginn seiner Laufbahn. Man erkennt ihn kaum unter dem Dreitagebart, auch sein später so markanter stechender Blick ist noch nicht ganz ausgeprägt. Dennoch, sein Gesicht ist interessant/markant genug, um dem Film zu tragen.  Anhänger von Clint Eastwood und Franco Nero werden Rassimov in der Cjamango-Rolle vermutlich als etwas farblos empfinden, doch sein zurückhaltendes Spiel passt perfekt zum Film.

Neben Rassimov treten in „Cjamango“ einige weitere vertraute Genre-Darsteller auf – so spielt Piero Lulli wie immer verlässlich den Schurken, während Hélène Chanel (eigentlich Hélène Stoliaroff) als hinreißend zwielichtiges Objekt der Begierde eine ähnlich gute Darstellung liefert. In der Rolle des rätselhaften, schwarz gekleideten Fremden tritt Mickey Hargitay auf, der ungarische ex-Bodybuilder und ex-Gatte von Jayne Mansfield. Hargitay ist nie ein guter Schauspieler gewesen, allerdings fällt das in der Rolle, die er in „Cjamango“ spielt, kaum auf, denn er verbirgt sein Gesicht meist unter der breiten Hutkrempe.

In der etwas nervtötenden Rolle des kleinen, schutzbedürftigen Jungen (Kinderrollen sind immer eine Sache für sich...), tritt der damals vielbeschäftigte Kinderstar Giusva Fioravanti auf. Seine Laufbahn nahm eine ganz unerwartete Wendung, als er sich – kaum volljährig – den italienischen Neofaschisten als Terrorist anschloss und schließlich für über 90 Morde zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Unter den Verbrechen, die ihm angelastet wurden, zählte auch der berüchtigte Bombenanschlag auf den Hauptbahnhof von Bologna, der 1980 ganz Italien in Angst und Schrecken versetzte. Vielleicht hätte Cjamango das Dynamit besser hochgehen lassen, anstatt den unerträglichen Balg zu retten....

„Cjamango“-Regisseur Edoardo Mulargia gehört unter den italienischen Genreregisseuren eindeutig ins zweite Glied, auch wenn er einige interessante Filme inszenierte – darunter der exotische Giallo „Death in Haiti“ (1972) und der Western „W Django!“ (1971), beide mit Anthony Steffen. Mulargias Karriere endete 1980 mit einigen Frauengefängnis-Filmen, die deutlich in Hardcore-Gefilde kippten.

„Cjamango“/“Django – Kreuze im Blutigen Sand“ erschien 1967, als der Italo-Western seinen Zenith erreichte, und er lief seiner bescheidenen Herkunft und Machart zum Trotz recht erfolgreich im Kino. In der Masse der Italo-Western ragt er kaum heraus, allerdings weist er auch keine allzu drastischen Mängel auf. Ein Routine-Werk also, für das sich vermutlich vor allem Genrefans interessieren werden.

In der Italo-Western Reihe von Koch Media erschien er unter dem deutschen Verleihtitel „Django – Kreuze im Blutigen Sand“ als Nummer 17. Dass er in Deutschland zum Django-Film umgewidmet wurde überrascht wenig, und in diesem Fall war es ausnahmsweise durchaus konsequent – allein der Name Cjamango verrät schon, dass die Macher des Films die populäre Django-Figur fest im Blick hatten. Die Kreuze im blutigen Sand wird man im Film allerdings vergeblich suchen.

Leider fällt die DVD hinsichtlich der Bildqualität deutlich aus dem Rahmen. Das Bild ist durchweg zu weich, die Farben verlaufen wie bei einer VHS-Kassette, Treppchenbildung überall, Landschaften flirren um die Wette – kurzum, es ist offensichtlich, dass Koch eine Vorlage zur Verfügung hatten, die qualitativ weit unter dem gewohnten Niveau lag. Vermutlich gab man sich Mühe, herauszuholen was herauszuholen war, dennoch muss man leider sagen, dass das Resultat enttäuschend ausgefallen ist. Das macht diese Veröffentlichung umso mehr zur reinen Fan-Sache.

Als Extra gibt es ein 20-minütiges, atemloses Interview mit dem italienischen Filmhistoriker Bruschini, zusammen mit den Liner Notes von Christian Kessler dürfte dies alle Fragen zum Film befriedigend beantworten. Dazu Trailer auf deutsch, englisch und italienisch, und eine Bildergalerie.

Wer sich nicht gerade als Spaghetti-Western-Fan betrachtet, sollte es besser mit einem anderen Film aus der Reihe versuchen, für die Spezialisten dürfte wiederum die magere Bildqualität ein deutliches Manko darstellen. Unterm Strich bleibt ein unterhaltsamer, wenn auch nicht weiter bemerkenswerter Film in einer für Koch untypisch schwachen Edition. Für Komplettisten und Rassimov-Fans.

Die Seltsame Gräfin

Deutschland, 1961. Regie: Josef von Báky Der „Sunset Boulevard“ unter den Wallace-Filmen Obwohl sich die Edgar-Wallace-Filmreihe 1961 ge...